Dass eine alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift wie das TAGEBUCH nicht zu jedem Thema die neuesten Entwicklungen abbilden kann, liegt auf der Hand. Bei manchen Fragen muss man etwas ins Blaue hinein prognostizieren – zwischen Blattschluss und Erscheinungstermin vergehen noch einige Tage. Wenn sich da etwas an der Sachlage ändert, kann man nicht mehr schnell einen Satz reinquetschen – oder wie Online-Publikationen einen Korrekturhinweis anhängen oder einfach den nächsten Text nachschieben.
Während der Produktion der letzten Ausgabe glaubte man hinsichtlich der Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP weder in der TAGEBUCH-Redaktion noch darüber hinaus, dass diese bald scheitern würden. Als in der zweiten Februarwoche die Luft zwischen den Freiheitlichen und der Volkspartei immer dicker wurde, sich das Ende der Verhandlungen anbahnte und es am 12. Februar tatsächlich dazu kam, führte das beim TAGEBUCH gewissermaßen zu einem Wechselbad der Gefühle. Einerseits die frohe Botschaft: Österreich wird (vorerst) keinen Kanzler Kickl bekommen! Andererseits die Erkenntnis: Damit waren die Kommentare der aktuellen Ausgabe schon jetzt überholt, gut eine Woche nach Erscheinen.
Wobei der Umstand, dass sich die Lage nun abrupt geändert hatte, die im TAGEBUCH niedergeschriebenen Feststellungen nicht allesamt ungültig gemacht hatte: An der strukturell rechten Mehrheit in den politischen Kräfteverhältnissen Österreichs etwa hat sich nichts geändert; der KPÖ ist nach wie vor angeraten, den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital offensiv zu politisieren.
Dennoch war es nun mal so, dass man in den restlichen sieben Wochen, in dem die zurückliegende TAGEBUCH-Ausgabe als die aktuelle im Handel lag, bei einem zentralen Thema eben nicht auf dem neuesten Stand war. Immerhin ließ sich das angesichts der frohen Botschaft über das Platzen der Verhandlungen etwas leichter verkraften.
Auch mit einer anderen Einschätzung lag das TAGEBUCH in der letzten Ausgabe daneben, und zwar zu den Chancen der deutschen Linkspartei für die Bundestagswahl. Doch auch in diesem Fall lag der Text zum Zeitpunkt seines Entstehens eigentlich auf einer Linie mit anderen Beobachter:innen: Dass die Linke um das Spitzenduo Heidi Reichinnek und Jan van Aken die Fünf-Prozent-Hürde überspringen würde, daran war wenige Wochen vor der Wahl ernsthaft zu zweifeln. Entsprechend auch der Tenor unseres Artikels »Ein bisschen Hoffnung«, der die »Mission Silberlocke« als Rettungsversuch für eine um ihre Existenz bangende Partei schilderte. Die fulminante Aufholjagd der Linken, geschweige denn 8,5 Prozent der Stimmen waren da in keiner Weise in Sicht.
Aber auch hier gilt: Wir nehmen das Ergebnis gerne so, wie es letztlich gekommen ist, auch hier überwiegt die frohe Botschaft das Hadern, dass man einen Text veröffentlicht hat, der sehr schnell ziemlich schlecht gealtert ist.
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